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Phänomenologie

Die Phänomenologie ist im weiteren Sinne die Wissenschaft von Phänomenen oder Erscheinungen. Da die Gegenstände sich uns jedoch im Bewußtsein offenbaren, heißt Phänomenologie im engeren Sinne die Wissenschaft von den sich im Bewußtsein offenbarenden Phänomenen. Als eine eigene Richtung der Philosophie wurde die Phänomenologie von Edmund Husserl begründet. Husserls Ziel war es, eine unanfechtbare Grundlage für alle Wissenschaften zu gewinnen, wozu er die phänomenologische Methode   entwickelte.8.1


Die phänomenologische Methode teilt sich dabei in zwei Schritte:

1.
Die eidetische Reduktion sieht zunächst von aller Existenz des   Ich, der erfassenden Akte und der Gegenstände ab. Vielmehr trachtet die eidetische Reduktion danach, bloß das Wesen (Eidos) der genannten Phänomene in deren voller Konkretion zu erfassen. Dies geschieht durch eidetische Variation. Ein Gegenstand wird durch variierende Intentionen angeschaut; z.B. kann ich ein Buch wahrnehmen, verabscheuen, mögen, mich daran erinnern, es mir vorstellen etc.
2.
Die phänomenologische Reduktion ist der zweite Schritt.   Dabei wird auch die Bewußtseinsunabhängigkeit dieser Inhalte eingeklammert. Damit ist ein allgemeines Zweifeln an dem Gegebensein der Gegenstände als methodischer Behelf gemeint. So kann ich beispielsweise an dem Vorhandensein eines Buches zweifeln. Dadurch soll nicht meine Überzeugung von der Existenz des Buches in Frage gestellt werden oder gar negiert werden - wie bei Descartes - sondern lediglich eingeklammert. D.h. die Überzeugung bleibt bestehen, aber es wird eine Distanzierung von den jeweiligen Gegenständen erreicht. Dadurch verlieren sie ihr unmittelbares Gegebensein bei einer natürlichen Einstellung8.2, das heißt bei der `naiven' Betrachtung einer `realen' Welt. Die konstitutive Rolle des Bewußtseins für die Gegenstände soll dadurch bewußt gemacht werden.

Die Phänomenologie betrachtet ihre Gegenstände immer nur als Korrelate des Bewußtseins. Somit bleibt lediglich das reine aber keineswegs leere Bewußtsein übrig.    

Nach Husserl gliedert sich das Bewußtsein in Bewußthaben (Noesis) und Bewußtes     (Noema). Das Bewußte wird erst durch die Noesis als Gegenstand konstituiert. Darum kann das Bewußte (Noema) in unmittelbarer Wesensschau oder Ideation erfaßt und beschrieben werden. Damit ist die Philosophie als eine rein deskriptive Wesenslehre der immanenten Bewußtseinsgestaltung zu definieren. Da alle Erfahrungsgegenstände durch die ihnen zugrunde liegenden Wesensheiten normiert werden, entspricht jeder empirischen Wissenschaft eine eidetische Wesenswissenschaft oder eine regionale Ontologie.   Alle Regionen (Gegenstandsgebiete) aber gründen ihrerseits im reinen Bewußtsein. Damit ist aber die Philosophie die Wissenschaft vom reinen Bewußtsein und damit auch als erste Wissenschaft zu sehen.

Während Husserls Phänomenologie sich vor allem dem Wahrheitsproblem widmete, wandte sich M. Scheler der Wertphilosophie zu.8.3 An Stelle von Husserls theoretischer Ideation tritt bei Scheler das Wertfühlen.   Diese muß als nichtverstandesmäßige Erfassung von Werten vorgestellt werden.

Mit Martin Heidegger, der Schüler Husserls war, wandelte sich endlich die Phänomenologie radikal zur Existenzphilosophie:  

Das Wesen des Seins ist nicht überzeitlich ruhendes Bewußtsein, sondern Geschichtlichkeit und Zeit.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Phänomenologie besonders in Frankreich, Belgien und Nordamerika weiterentwickelt und setzte sich fort in einer existenziellen Phänomenologie (z.B. M. Merleau-Ponty u.a.).



 
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Achim Hoffmann
2002-07-12