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Über eine Grundlegung der Kognitionswissenschaft

Der Gegenstand der Kognitionswissenschaft ist nicht so klar, wie er zunächst vielleicht erscheinen mag. Die Natur des menschlichen Denkens soll erforscht werden. Doch wie dies zu geschehen hat und wie mögliche Forschungsergebnisse aussehen müssten oder könnten, ist damit noch nicht geklärt. Pylyshyn versuchte eine Grundlegung der Kognitionswissenschaft in seinem Buch `Computation and Cognition', 1984 Pylyshyn[Pyl84]. Die Hauptthese, die Pylyshyn in seinem Buch vertritt ist, daß in einer sinnvollen empirischen Theorie der Kognitionen - des Denkens - drei verschiedene Ebenen der Beschreibung zu unterscheiden sind. Jede der drei Ebenen hat ihre eigenen Prinzipien nach denen Prozesse auf ihnen zeitlich parallel ablaufen. Dabei gibt es spezifische Abhängigkeiten zwischen den drei Prozeßebenen. Pylyshyn unterscheidet im einzelnen die biologische bzw. physische Ebene,    die symbolische bzw. syntaktische oder funktionale Ebene sowie die semantische        oder intentionale Ebene. Beispielsweise bestimmen biologische Faktoren in welcher Geschwindigkeit bestimmte `Denkoperationen' auf der symbolischen Ebene durchgeführt werden. Prozesse auf der symbolischen Ebene sind ihrerseits wesentlich dafür verantwortlich, inwiefern sich ein Individuum rational verhält bzw., ob auf der semantischen Ebene tatsächlich die logischen Schlüsse gezogen werden, die auf Grund des vorhandenen Wissens5.1 gezogen werden könnten. Auf diese Art und Weise könnte im Prinzip auch eine detaillierte Theorie der Denkprozesse in besonderen psychischen Zuständen entwickelt werden, die beispielsweise von Halluzinationen bestimmter Art begleitet werden, wobei solche Halluzinationen möglicherweise durch abnorme Vorgänge auf der biologischen Ebene charakterisiert werden könnten. Solch abnorme Vorgänge hätten entsprechend veränderte Prozesse auf der symbolischen und auf der semantischen Ebene zur Folge. Somit könnte man Halluzinationen auf der semantischen Ebene als Folge von veränderten Prozessen auf der biologischen Ebene erklären.

Häufig ist man in der künstlichen Intelligenz versucht, sich nur auf die syntaktische und semantische Ebene zu konzentrieren. Dies mag für die Erstellung von funktionierenden intelligenten Computerprogrammen auch in der Regel ausreichen; um allerdings auf diese Weise Theorien zu finden, die menschliches Verhalten erklären, erscheint Pylyshyn zu kurz gegriffen. Um menschliches Verhalten vollständig zu erklären, wird man ohne die biologische Ebene nicht auskommen, deren Prozesse die spezifischen Prozesse auf der syntaktischen Ebene bestimmen. Wenn die Prozesse auf der semantischen Ebene vollständig von den Prozessen auf der syntaktischen Ebene abhängen, und die Prozesse auf der syntaktischen Ebene ihrerseits wiederum vollständig von den Prozessen auf der biologischen Ebene abhängen, könnte man sich im Prinzip darauf beschränken, nur die Prozesse auf der biologischen Ebene zu beschreiben. Alle anderen Prozesse wären implizit in der Beschreibung der Prozesse auf der biologischen Ebene enthalten. Ein solch reduktionistischer Ansatz würde allerdings dazu führen, daß die Beschreibung von Denkprozessen auf der biologischen Ebene ungeheuer kompliziert wäre. Es wäre praktisch unmöglich, daraus die Konsequenzen für die semantische Ebene von Denkprozessen, also beispielsweise für konkrete Gedankeninhalte, zu ziehen.5.2 Ein Grund dafür, daß Pylyshyn gerade die genannten drei Ebenen unterscheidet, ist die Annahme, daß die Prozesse auf den drei Ebenen nach unterschiedlichen Prinzipien ablaufen. Ein zweiter, vielleicht noch wichtigerer Grund für diese Unterscheidung ist die Tatsache, daß bereits mehr oder weniger ausgearbeitete Theorien über die Prozesse auf diesen Ebenen vorliegen. Auf der biologischen Ebene gibt es bereits wissenschaftliche Theorien über biochemische bzw. neurophysiologische Phänomene, die ihre Wurzeln in den traditionellen Naturwissenschaften haben. Für die syntaktische oder funktionale Ebene sind aus den Überlegungen zur künstlichen Intelligenz und aus verschiedenen Ansätzen zu Gedächtnistheorien ebenfalls schon theoretische Vorarbeiten geleistet worden.5.3

Für die dritte, die semantische oder intentionale Ebene sind aus dem alltäglichen Denken und Reden über mentale Phänomene, sowie aus introspektiven Einsichten heraus zumindest rudimentäre Ansätze zu Theorien vorhanden. Die genannten Theorien bzw. Ansätze zu Theorien beinhalten ontologische Annahmen, die die vorgenommene Dreiteilung nahelegen.

Eine von Pylyshyns wichtigsten empirischen Behauptungen ist, daß es einen `natürlichen' Bereich von Phänomenen gibt, den man als einen privilegierten Bereich für eine algorithmische Ebene ansehen kann.5.4 Später werden noch Bedingungen formuliert werden, um auf dieser Basis angemessene erklärende Theorien zu entwickeln.

Anschließend sollen die grundlegenden Kriterien herausgearbeitet werden, die Verhalten, das durch Regeln und Repräsentationen gesteuert wird, von Verhalten unterscheiden, das bloß das Ergebnis der kausalen Struktur des zugrunde liegenden biologischen Systems ist.

Ein zentrales Ziel von Pylyshyns Arbeit liegt darin, einen solchen Unterschied als prinzipiell aufzuzeigen und dabei ein notwendiges empirisches Unterscheidungskriterium anzugeben. Dieses methodologische Kriterium, das Pylyshyn cognitive penetrability condition nennt, unterstützt die These, daß eine erklärende Theorie eine Art von Symbolmanipulationsmodell sein sollte.



 
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Achim Hoffmann
2002-07-12