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Denken als Symbolverarbeitung

Pylyshyn argumentiert dafür, daß Denken tatsächlich als Symbolverarbeitung betrachtet werden sollte, und zwar in einem buchstäblichen Sinn ! Er begründet dies damit, daß Symbolverarbeitung die einzige ausgearbeitete Beschreibung eines Prozesses ist, die sich mit zwei verschiedenen Beschreibungsebenen vereinbaren läßt; mit der materialistischen Sicht wie ein Prozeß physikalisch realisiert ist einerseits, und andererseits mit der Beschreibung des Verhaltens eines Prozesses durch regelgeleitete Operationen auf Symbolen.

Symbolverarbeitung als auch Denken sind Prozesse von einem grundlegend gleichen Typ, da sie beide physikalisch realisiert sind, aber trotzdem durch Regeln und Repräsentationen gesteuert werden. Da ein Computer ein physikalisches Gerät ist, kann das Verhalten eines Computers durch die Beschreibung der kausalen Struktur seiner physikalischen Eigenschaften beschrieben werden. Die (physikalischen) Zustände eines Computers sind durch Begriffe der physikalischen Beschreibung unterschieden und seine Zustandsübergänge sind deswegen durch physikalische Gesetze bestimmt. Wenn von diesen physikalischen Eigenschaften abstrahiert wird, so läßt sich eine funktionale Beschreibung des Gerätes angeben. Beispielsweise geht ein Computer immer wenn er in einem Zustand m ist, in einen Zustand n über. Dies ist kein physikalisches Gesetz, obwohl dieser bestimmte Computer gerade so aufgebaut ist, daß er kraft physikalischer Gesetze, den besonderen physikalischen Eigenschaften, die er aufweist, wenn er im Zustand m ist sowie seines spezifischen Aufbaus immer von dem Zustand m in den Zustand n übergeht.

So kann solch eine funktionale Beschreibung eines Computers durch ein geeignetes Zustandsübergangsdiagramm geschehen. Dies ist allerdings in der Regel keine angemessene Beschreibung, um die funktionale Struktur des Computers leicht verstehen zu können.

Wenn erklärt werden soll, was für eine Berechnung ein Computer ausführt, bzw. welche Regularitäten ein bestimmter, besonders programmierter Computer aufweist, so muß man auf die Objekte desjenigen Bereiches verweisen, in den die intendierte Interpretation der Berechnungen des Computers fällt. Dies könnte beispielsweise der Bereich der ganzen Zahlen sein, wenn die Symbolmanipulationen des Computers als numerische Berechnungen interpretiert werden sollen. Um zu erklären, warum der Computer das Zeichen `5' als Reaktion auf die Eingabe `Add 2, 3' ausdruckt, müssen die Zeichen Add als Additionsoperator in den natürlichen Zahlen, sowie die Zeichen `2' und `3' als dessen Operanden interpretiert werden. Dadurch kann die Reaktion des Computers als die Auswertung der Additionsoperation auf den eingegebenen Operanden erklärt werden.

Was Computer tun, wird typischerweise erklärt, indem auf eine bestimmte intendierte Interpretation referiert wird. Allerdings erklärt man auf die gleiche Art, warum und wie Menschen das tun, was sie tun. Bei der Erklärung warum ein Schachspieler eine bestimmte Figur auf ein bestimmtes Feld setzt, wird dies durch die Rolle der Figur, die sie im Schachspiel spielt sowie die besonderen Ziele und Pläne beschrieben, die der betreffende Schachspieler in der vorliegenden Situation verfolgt. Man versucht nicht, die Handlung des Schachspielers dadurch zu erklären, daß man auf den spezifischen neurophysiologischen Zustand seines Gehirns eingeht oder die geometrischen Eigenschaften der bewegten Schachfigur beschreibt. Man geht auf eine geeignete Interpretation der Spielsituation ein.


Pylyshyn sieht hier einen fundamentalen Unterschied zwischen der Beschreibung dessen, was ein Computer tut, durch die Beschreibung seiner internen Zustände (z.B. durch Äquivalenzklassen physikalischer Beschreibungen) und der Beschreibung durch das, worauf sich das Tun des Computers bezieht. Den fundamentalen Unterschied sieht er darin, daß die erste Art von Beschreibung auf intrinsische Eigenschaften des Gerätes referiert, während die zweite Art von Beschreibung auf einen vollkommen anderen Bereich referiert, der in der Regel nichts mit dem physikalischen Aufbau des Gerätes zu tun hat.

Diesem fundamentalen Unterschied bei der Beschreibung von Computern oder anderen ähnlich komplexen Geräten, entspricht bei der Beschreibung des menschlichen Denkens auf der einen Seite die neurophysiologische oder kausale Beschreibung und auf der anderen Seite die intentionale Beschreibung. Dieser Unterschied hat der Philosophie lange Zeit schwere Probleme bereitet. Das Problem entsteht durch die Frage, wie es möglich ist, daß Menschen ein bestimmtes Verhalten aufgrund von bestimmten Zielen, Wünschen und Annahmen zeigen, während man gleichzeitig davon ausgeht, daß sie aufgrund von physikalischen Gesetzmäßigkeiten und ihrem besonderen neurophysiologischen Zustand sich so verhalten.5.6 Man kann allerdings mit der gleichen Verwunderung die entsprechende Frage bei dem Verhalten von Computern stellen: Wie können die Zustandsübergänge einer Maschine gleichzeitig von physikalischen Gesetzmäßigkeiten und von den abstrakten Eigenschaften der ganzen Zahlen abhängen ?

Die Antwort ist die Folgende: Dies ist dadurch möglich, daß beides, sowohl die Zahlen als auch die Regeln, die die Beziehungen zwischen den Zahlen beschreiben, in der Maschine als symbolische Ausdrücke und Programme repräsentiert sind. Die physikalische Realisierung dieser Repräsentationen schließlich ist dafür verantwortlich, daß sich die Maschine tatsächlich gemäß der repräsentierten Regeln verhält. Computer wenden nur aufgrund der formalen Eigenschaften der repräsentierten Ausdrücke Regeln an. Mithin können sie nur rein syntaktisch arbeiten und können hierbei keinerlei Unterschiede zwischen der Interpretation der Ausdrücke und den Ausdrücken selbst machen. Daher ist es zwingend notwendig, daß alle relevanten Eigenschaften des Interpretationsbereiches auch eine Entsprechung in den verwendeten Ausdrücken finden. Kurz, alle semantischen Unterschiede müssen sich auf der syntaktischen Ebene der verwendeten Ausdrücke wiederfinden.

Durch die Trennung der semantischen und der syntaktischen Aspekte kognitiver Prozesse wird das Problem der intentionalen Handlungen darauf reduziert, einen geeigneten Mechanismus anzugeben, der auf bedeutungsfreien Symbolen - auf Zeichen - operiert und dabei bedeutungsvolle Prozesse - zum Beispiel Rechnen - ausführt. Dies heißt aber auch, daß der Computer vollkommen unabhängig von der Interpretation seiner verwendeten Symbole arbeitet. Insofern kann man sagen, daß der Computer nicht weiß, was er tut, - wie beispielsweise Fodor Fodor[Fod78] oder Dreyfus Dreyfus[Dre72]. Die syntaktische repräsentationsgesteuerte Natur von Computerberechnungen zeigt somit wie eine Beziehung von Symbolmanipulationen zu Kausalgesetzen - zumindest im Prinzip - herstellbar ist.

Darüberhinaus erfordert die Erklärung kognitiver Gesetzmäßigkeiten nicht mehr notwendig auch die Erklärung der neurophysiologischen Vorgänge im Gehirn. Zumindest ist dies nicht notwendiger, als die Erklärung der physikalischen Realisierung eines Computers bei der Erklärung von Computerberechnungen. Allerdings ist für beide Erklärungen gleichermaßen wesentlich, daß die elementaren Operationen des zugrunde liegenden Systems sowie die Steuerung der Ausführung der elementaren Operationen spezifiziert werden.

Diese geforderte Spezifikation bezeichnet Pylyshyn auch als die funktionale Architektur des symbolmanipulierenden Systems. In diesem Sinn sieht Pylyshyn Symbolmanipulationen nicht nur als metaphorische, sondern als buchstäbliche Beschreibungsmöglichkeit von Denken an.5.7


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Achim Hoffmann
2002-07-12