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Beschränktes Bewußtsein als Fenster zur Komplexität

Wie kann Introspektion durch ein Bewußtsein geschehen, das nur ein stark beschränktes Fassungsvermögen hat ?

Wenn das Verhalten eines kognitiven Systems von sehr hoher Komplexität ist, das Medium mittels dessen diese Struktur analysiert werden soll, aber nur einen verschwindend geringen Teil dieser Struktur gleichzeitig fassen kann, so stellt sich nicht nur die Frage nach den generellen Möglichkeiten und Grenzen der Analyse, sondern auch nach vielleicht typischen Charakteristika möglicher Vorgehensweisen.

Wie im vorherigen Abschnitt angerissen, stellt sich eine komplexe Struktur - auch wenn es sich nur um einen kleinen Ausschnitt der Struktur handelt - im allgemeinen wie folgt in einem beschränkten `Fenster' dar: Siehe hierzu Abbildung 8.4.

In dem Fenster können nur ein oder eventuell einige wenige Begriffe, d.h. so etwas wie symbolische Darstellungen dessen, enthalten sein. Jedoch haben sehr viele Begriffe notwendigerweise eine sehr große Zahl von Bezügen zu anderen Begriffen bzw. zu anderen Teilen der komplexen Struktur.

  
Abbildung 8.4: Begriffsnetz und beschränktes Bewußtsein.
\begin{figure}\centerline{\psfig{figure=figures/Bewusstsein1.ps,height=6cm}}
\end{figure}

Nicht nur die Begriffe, zu denen ein jeweils bewußt gemachter Begriff Bezüge hat, können nicht alle gleichzeitig bewußt sein, sondern auch die Bezüge selbst können höchstens zu einem Bruchteil gleichzeitig im Bewußtsein vorliegen.

Beschränkt man sich bei dieser Betrachtung nun auf Einzelbegriffe, die sich auf singuläre Gegenstände beziehen, so wird deutlich, daß nicht alle in einer aktuellen Handlungssituation äußerlich präsenten und relevanten Gegenstände bewußt sein können.

Somit muß aufgrund der Beschränktheit des Bewußtseins ständig eine erhebliche Menge handlungsrelevanter Gegenstände lediglich zuhanden sein, um Heideggers Terminologie zu verwenden. Vorhanden kann allenfalls ein Bruchteil der relevanten Entitäten sein. Erst wenn die `alltäglichen Verweisungen' gestört werden, muß das komplexe System nach einer Verhaltensänderung suchen. Dafür orientiert sich das System an verhaltensrelevanten Klassifikationen, die sich sinnvollerweise an der akuten Störung orientieren. Die vorliegende gegenständliche Situation, das Zeug wechselt seine Zuhandenheit zu einer Vorhandenheit.    

Insofern ist zwar a priori nicht auszuschließen, daß sukzessive die gesamte kognitive Struktur reflektiert und explizit gemacht werden kann - ob dies möglich ist, würde von weiteren Eigenschaften des `Fensters' abhängen.9.13 Jedoch wird deutlich, daß es keinen Sinn haben kann, Begriffe im allgemeinen durch einfache Strukturen erklären oder definieren zu wollen. Prinzipiell könnten einige Begriffe zwar so definiert werden - z.B. Synonyme9.14 - aber für den größten Teil der Begriffe muß eine Klärung auf eine umfangreiche, eine komplexe Struktur zurückgreifen.

Dies ergibt sich aufgrund der Komplexität des gesamten (kognitiven) Systems. Wie sich einzelne Situationsklassen bzw. Begriffe bilden und fortschreiben, ist von dieser Analyse noch unberührt. Unter anderem deutet Heideggers Phänomenologie ebenso wie Wittgensteins Philosophische Untersuchungen darauf hin, daß dies selbst wiederum ein komplexer Prozeß (auch im Sinne der Kolmogoroffkomplexität) ist. Dies könnte bedeuten, daß der Mensch nicht durch Introspektion, insbesondere nicht durch Reflexion anschaulicher Begrifflichkeiten, diese Prozesse erfassen kann. Daraus würde sich ein Problem bei der Wissensakquisition ergeben, das - wie bereits in   Abschnitt [*] angedeutet - den Experten gleichermaßen wie den Wissensingenieur vor ungeahnte Probleme stellt.


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Achim Hoffmann
2002-07-12