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Antropomorphe Begriffe in komplexen Strukturen

Wenn eine einfache Struktur - diese soll eine mögliche Erkenntnis repräsentieren, beispielsweise eine Beziehung zwischen Begriffen (z.B. Alle p sind q) - sich in einem letztlich komplexen Verhalten niederschlagen soll, so muß zunächst eine weitere komplexe Struktur vorhanden sein, in die die einfache Struktur eingebettet ist.

Weiterhin kann man allgemein sagen, daß die einfache Struktur entweder das tatsächliche Verhalten direkt beschreibt - dann kann es sich aber nur um einen sehr kleinen Teil des gesamten Verhaltensspektrums handeln.

Oder aber die Struktur hat ihre Bedeutung für einen umfangreichen Teil des Verhaltens - dann müssen aber die Bedingungen der konkreten Umsetzung von der einfachen Struktur - hier als theoretische Erkenntnis gedacht - in praktisches Verhalten bzw. Handeln entsprechend kompliziert sein - z.B. in Form von nur komplex zu explizierenden und in der Theorie nicht definierten Grundbegriffen.

Dies bedeutet ebenfalls, daß der Anwendungsbereich nur durch komplexe Regeln abzugrenzen ist. Die beiden genannten Fälle bilden die zwei äußeren Pole eines Spektrums von Möglichkeiten, innerhalb dessen die `einfache Erkenntnis' irgendwo eingeordnet werden muß. Dies geht darauf zurück, daß keine, wie auch immer geartete, einfache Theorie das resultierende komplexe Verhalten erklären kann. Mithin kann sie nur - wenn sie überhaupt an der Bestimmung des resultierenden Verhaltens potentiell beteiligt sein soll - eingebunden sein in eine große Zahl von algorithmischen Regeln, die das letztlich resultierende Verhalten gemeinsam mit der `einfachen Erkenntnis' bestimmen.

Beispielsweise könnte eine `einfache Erkenntnis' beschreiben, wie das Wort Tisch geschrieben wird. Dies wird jedoch nur einen verschwindend geringen Teil des Gesamtverhaltens eines intelligenten Systems ausmachen.

Auf der anderen Seite könnte die `einfache Erkenntnis' die sinnlichen Erkennungskriterien für einen Tisch beschreiben. Diese Erkenntnis könnte dann nicht nur dafür genutzt werden, im richtigen Moment Tisch zu schreiben, sondern in einer Vielzahl von Situationen etwas als einen Tisch zu erkennen und beispielsweise ihn entsprechend zu benutzen, bzw. allein die Möglichkeiten des Benutzens in verschiedene Pläne und Handlungen einfliessen zu lassen.


Eine zweite Dimension innerhalb dessen sich `einfache Erkenntnis' bewegen kann, ist ihr mehr oder weniger direkter Einfluß einerseits auf die `Datenaufnahme' und deren Strukturierung und Einordnung, und andererseits ein mehr oder weniger direkter Einfluß auf das resultierende Verhalten, die `Datenausgabe'. Siehe dazu Abbildung 8.3.

  
Abbildung 8.3: Zweidimensionales Spektrum innerhalb dessen sich `einfache Erkenntnis' ansiedeln kann.
\begin{figure}\centerline{
\psfig{figure=figures/Erkenntnis2Dspektrum.ps,height=8cm}
}
\end{figure}

Im allgemeinen befassen wir uns wohl mit Erkenntnissen, die mehr oder weniger in der Mitte beider Dimensionen des genannten Spektrums liegen. Wenn wir uns mit Begriffsklärungen, z.B. dem Begriff des Tisches befassen, so liegen sie in folgender Weise in der Mitte:

Im Hinblick auf den Umfang des mehr oder weniger indirekten Einflusses auf das resultierende Verhalten, ist ein solcher Begriff von einigermaßener Breite in seiner Anwendung, jedoch deutlich weniger breit, als etwa allgemeine Handlungsmaximen.

Innerhalb der zweiten Dimension, der Ferne oder Nähe zur unmittelbaren Ordnung von `Eingangsdaten' bzw. `Ausgangsdaten' stellt er ebenfalls kein Extrem dar. Von den unmittelbaren `Eingangsdaten'9.12 ist er durch eine Vorverarbeitung dieser Daten zu abstrakteren Einheiten (z.B. gerade Linien bei der visuellen Wahrnehmung) entfernt. Von den unmittelbaren `Ausgangsdaten' ist er durch Nachverarbeitungen entfernt, die erforderlich sind, um zu einem spezifischen Verhalten zu gelangen - aufgrund der Subsumption einer gegebenen Wahrnehmung unter dem Begriff Tisch.

Wird nun gefordert, einen solchen irgendwo im mittleren Bereich des Spektrums liegenden Begriff durch eine `handliche' Definition zu explizieren, beispielsweise durch andere Begriffe aus der gleichen Region des Spektrums, so stellt sich das folgende Problem:

Es sollen hier immer nur `einfache' Explikationen in Betracht gezogen werden. Das heißt, die geschilderten Beziehungen zur Erklärung des Begriffs Tisch müssen kurz sein.

Wenn eine solch `einfache' Beziehung zwischen den involvierten Begriffen tatsächlich besteht, so müssen notwendigerweise die Erfüllungsbedingungen für die definierenden, für die erklärenden Begriffe, entsprechend komplex sein.

Falls diese ebenfalls einfach sein sollten, muß der gesamte Begriffskorpus entsprechend `weit' von den `Ausgabedaten', dem Verhalten, entfernt sein. Dies läuft auf die Denkfigur hinaus, die auch Quines Bedeutungsholismus zugrunde liegt.


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Achim Hoffmann
2002-07-12