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Ähnlichkeitstheorien

Locke vertrat eine Ähnlichkeitstheorie, die einem aristotelischen Realismus sehr nahe kommt. Der Ähnlichkeitsgrad zweier Objekte hängt bei ihm von dem Maß der qualitativen Übereinstimmung ab, die mehr oder weniger direkt dem aristotelischen Charakeristika entspricht. Bei einer reinen Ähnlichkeitstheorie können zwei Objekte einander ähneln. Dabei muß es zwar einen bestimmten Aspekt geben, unter dem sie einander ähnlich sind, jedoch muß dieser Aspekt nicht als das identische Etwas betrachtet werden, das beiden Objekten zukommt. Somit läßt sich ein aristotelischer Realismus vermeiden. Gegen Ähnlichkeitstheorien wurde oft das Argument vorgebracht, daß Ähnlichkeit seinerseits eine Universalie sein muß.

B. Russell argumentierte in Problems of Philosophy (1912) Russell[Rus12]: Wenn wir Universalien wie weiß oder dreieckig vermeiden wollen, so müssen wir auf bestimmte weiße bzw. dreieckige Objekte verweisen. Wir können dann sagen, daß etwas weiß bzw. dreieckig ist, wenn es den ausgewählten Objekten im richtigen Maße ähnelt. Jedoch muß dann diese Ähnlichkeit selbst eine Universalie sein, anderenfalls gerät man in einen unendlichen Regreß. Man müßte Ähnlichkeiten zwischen Ähnlichkeitsbeziehungen behaupten, aufgrund derer bestimmte Objektpaare einander ähneln, während andere einander nicht ähneln. R. Carnap entwickelte in Der logische Aufbau der Welt (1928) Carnap[Car28] eine Theoriesprache, in der als einziger Grundprädikator die zweistellige Ähnlichkeitserinnerung zwischen Elementarerlebnissen vorgesehen ist. Price Price[Pri53] weist darauf hin, daß der von Russell angezeigte unendliche Regreß ruhig bestehen könne - er müsse gar nicht (durch die Postulierung von Universalien) aufgelöst werden. Der Wert der Ähnlichkeitstheorie bestehe darin, daß sie nicht wie die Realismustheorien Erklärung und Beschreibung durcheinander bringt. Über uns selbst ist die Frage nach den Universalien eine Frage der Erklärung. Über die Welt ist die Frage nach Universalien eine Frage der Beschreibung. Auch wurden Zweifel an dem Sinn der Annahme laut, daß die Ähnlichkeit zwischen Objekten immer schon besteht, und später nur entdeckt werden muß.6.6


Wittgenstein führte im zwanzigsten Jahrhundert den Begriff der Familienähnlichkeit ein. Er meinte damit ein ganzes Netz von Ähnlichkeiten, die zwischen Objekten gleichen Namens bestehen. Dabei bestehen Ähnlichkeiten in unterschiedlicher Hinsicht kreuz und quer zwischen den einzelnen Objekten der fraglichen Klasse. Er nennt selbst als Beispiel die Klasse der Spiele; Brettspiele, Kartenspiele, Ballspiele, ... In den Philosophischen Untersuchungen heißt es:

66. Betrachte z.B. einmal die Vorgänge, die wir $\succ$ Spiele $\prec$ nennen. Ich meine Brettspiele, Kartenspiele, Ballspiele, Kampfspiele, usw. Was ist allen gemeinsam ? - Sag nicht: ``Es muß ihnen etwas gemeinsam sein, sonst hießen sie nicht $\succ$ Spiele $\prec$'' - sondern schau, ob ihnen allen etwas gemeinsam ist. - Denn wenn Du sie anschaust, wirst Du zwar nicht etwas sehen, was allen gemeinsam wäre, aber du wirst Ähnlichkeiten, Verwandtschaften, sehen, und zwar eine ganze Reihe. Wie gesagt: denk nicht, sondern schau ! - Schau z.B.- die Brettspiele an, mit ihren mannigfachen Verwandtschaften. Nun geh zu den Kartenspielen über: hier findest du viele Entsprechungen mit jener ersten Klasse, aber viele gemeinsame Züge verschwinden, andere treten auf. Wenn wir nun zu den Ballspielen übergehen, so bleibt manches Gemeinsame erhalten, aber vieles geht verloren. - Sind sie alle unterhaltend ? Vergleiche Schach mit dem Mühlfahren. Oder gibt es überall ein Gewinnen und Verlieren, oder eine Konkurrenz der Spielenden ? Denk an die Patiencen. In den Ballspielen gibt es Gewinnen und Verlieren; aber wenn ein Kind den Ball an die Wand wirft und wieder auffängt, so ist dieser Zug verschwunden. Schau, welche Rolle Geschick und Glück spielen. Und wie verschieden ist Geschick im Schachspiel und Geschick im Tennisspiel. Denk nun an die Reigenspiele: Hier ist das Element der Unterhaltung, aber wie viele der anderen Charakterzüge sind verschwunden ! Und so können wir durch die vielen, vielen anderen Gruppen von Spielen gehen. Ähnlichkeiten auftauchen und verschwinden sehen.

Und das Ergebnis dieser Betrachtung lautet nun: Wir sehen ein kompliziertes Netz von Ähnlichkeiten, die einander übergreifen und kreuzen. Ähnlichkeiten im Großen und Kleinen.

67. Ich kann diese Ähnlichkeiten nicht besser charakterisieren als durch das Wort `Familienähnlichkeiten'; denn so Übergreifen und kreuzen sich die verschiedenen Ähnlichkeiten, die zwischen den Gliedern einer Familie bestehen: Wuchs, Gesichtszüge, Augenfarbe, Gang, Temperament, etc. etc. - Und ich werde sagen: Die $\succ$ Spiele $\prec$ bilden eine Familie. $\ldots$6.7

Im zwanzigsten Jahrhundert erlebte der Universalienstreit eine überraschende Neuauflage, (moderner Universalienstreit) der durch die Grundlagenkrise der Mathematik ausgelöst wurde. Eine platonische Position würde den Umgang mit Unendlichkeiten erleichtern, und wurde unter anderem von G. Cantor, G. Frege, dem frühen B. Russell, K. Gödel und A. Church vertreten.

Doch birgt er auch Probleme wie es beispielsweise in der Russellschen Mengenantinomie zum Ausdruck kommt.6.8 Dadurch und durch weitere Probleme, wurde die Entwicklung von nominalistischen Systemen stimuliert. So haben beispielsweise Goodman & Quine GoodmanQuine[GQ47] ein nominalistisches System für einen Bereich der Mathematik entwickelt.


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Achim Hoffmann
2002-07-12