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Quines Bedeutungsholismus

W.v.O. Quine wies darauf hin, daß es keinen Sinn hat, für einen einzelnen Satz feststellen zu wollen, ob er wahr oder falsch ist. Der Grund dafür liegt in dem Problem, daß die Geltungsbestimmungen eines einzelnen Satzes praktisch immer eine ganze Reihe von anderen Sätzen als bereits geltend voraussetzen. Wenn ein bestimmter Satz auf den ersten Blick nicht zu gelten scheint, so hat man bei näherem Hinsehen eine Menge von insgesamt einander widersprechenden Sätzen.

Nun stellt sich die Frage, welcher dieser Sätze zu revidieren ist. Und dies läßt sich nicht durch logische Mittel allein entscheiden. Dies hängt mit der nur holistisch zu erfassenden Bedeutung jedes einzelnen Satzes zusammen.


Gegeben seien beispielsweise die folgenden vier Sätze:

1.
Alle Vögel können fliegen.
2.
Karl ist ein Pinguin.
3.
Alle Pinguine sind Vögel.
4.
Karl kann nicht fliegen.
In den obigen vier Sätzen ist ein Widerspruch enthalten. Nun stellt sich die Frage, welcher oder welche der vier Sätze revidiert werden muß bzw. müssen, um den Widerspruch aufzulösen. In jedem Fall läßt sich beobachten, daß man durch geeignete Abänderung jedes einzelnen der vier Sätze die Konsistenz der Gesamtheit der Sätze herstellen kann. Daher gibt es also keinen logischen Grund für die Abänderung gerade eines bestimmten Satzes, um die Widerspruchsfreiheit herzustellen.

Nur eine Theorie als Ganzes kann verworfen werden. Jeder einzelne Satz hingegen kann bei geeigneter Anpassung der übrigen Theorie akzeptiert werden.

Quine bezieht sich hierbei nicht nur auf die empirischen oder synthetischen Sätze, er sieht auch analytische Sätze, Sätze der Logik etwa, als reversibel an. Verlangt man zur Festlegung der Bedeutung eines einzelnen Satzes die Angabe von dessen empirischen Geltungsbedingungen, so läßt sich aus dem oben Gesagten ableiten, daß auch die Bedeutung eines einzelnen Satzes nicht für sich festgelegt werden kann, sondern immer nur vor dem Horizont einer umfassenden Theorie des jeweiligen Gegenstandsbereiches zu sehen ist.9.7 So schreibt Quine zu den Sätzen einer empirischen Theorie:

... sie liegen an der Peripherie, wo ihre Bedeutung empirisch durch Aufforderung zu Zustimmung oder Ablehnung in jeder einzelnen Situation festgestellt werden kann. Von dieser Peripherie empfängt die Wissenschaft und die Sprache ihren gesamten empirischen Gehalt oder ihre Bedeutung. Um dagegen die Bedeutung eines Satzes von ewiger Dauer tief im Inneren der Theorie herauszuschälen, kann man sich nur auf seine vielfältigen Verbindungen innerhalb der Theorie und letzten Endes, indirekt, mit der Peripherie stützen. Da jeder solche Strang nur mittels seiner Verschränkungen mit anderen beschreibbar ist, verliert die Frage nach der Bedeutung eines einzelnen solchen Satzes jeglichen Sinn. Der Satz könnte auch durch andere seiner Art formuliert werden, und vielleicht kann ein umfangreicheres Netz solcher Sätze eine gemeinsame Erklärung anhand ihrer effektiven Gesamtrelevanz für Beobachtungen und Situationssätze erfahren.9.8

Die Quinesche Auffassung kommt insofern Wittgenstein sehr nahe. Wittgenstein hat sich jedoch auch sehr intensiv gerade mit dem dynamischen Aspekt des Regelerlernens und der Regelfortschreibung befaßt.


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Achim Hoffmann
2002-07-12