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Universalientheorien und der Allgemeinbegriff `Intelligenz'

Wo liegt der Ursprung einer allgemeinen Vorstellung von Intelligenz ? Und wie kann eine solche gegebenfalls begründet werden ? Im folgenden werden die Instanzen der allgemeinen Vorstellung von Intelligenz als je eine Verhaltensreaktion in einzelnen Situationen aufgefaßt.

Platons Theorie enstprechend hat jeder Mensch, jeder Wissenschaftler der künstlichen Intelligenz oder der Kognitionswissenschaft, intellektuellen Zugang zu dem Allgemeinbegriff von Intelligenz. Dadurch ist er auch in der Lage, von einer einzelnen oder einer kleinen Menge von Intelligenzreaktionen auszugehen und zu verallgemeinern. Durch Platons Form von Intelligenz wird die `Richtung' der Verallgemeinerung geleitet. Die Beispiele dienen dem Wissenschaftler dabei nur zur `Erinnerung' an die Form `Intelligenz', die er vor seiner Geburt bei der platonischen Ideenschau bereits kennenlernte.

Beispielsweise hatten Ende der 50er Jahre Newell & Simon NewellSimon[NS63] ihren General Problem Solver (GPS) entwickelt, der an einigen Beispielproblemen,   wie etwa den Türmen von Hanoi, getestet wurde. Newell & Simon generalisierten von der Lösung dieser Beispielprobleme auf die Simulation menschlicher Intelligenz. Sie schrieben in einem Bericht:

Wir haben gerade zu erkennen begonnen, wie wir Computer benützen können, um Probleme zu lösen, für die wir keine systematischen und effizienten Algorithmen besitzen. Und zumindest in einem begrenzten Gebiet wissen wir heute nicht nur, wie man Computer programmieren muß, damit sie erfolgreich Probleme lösen können; wir wissen auch, wie man Computer programmieren muß, damit sie diese Fähigkeiten erlernen.

Kurz gesagt, wir kennen nun die Elemente einer Theorie des heuristischen (im Gegensatz zum algorithmischen) Problemlösens; und mit dieser Theorie können wir sowohl heuristische Prozesse im Menschen verstehen als sie auch auf Digitalcomputern simulieren. Intuition, Einsicht und Lernen sind nicht länger ausschließlicher Besitz des Menschen: Jedem großen Hochgeschwindigkeitscomputer können sie einprogrammiert werden.6.16

Heute weiß man, daß der GPS nur für eine sehr beschränkte Klasse von Problemen wirklich geeignet ist. Aber Ende der 50er Jahre waren Newell & Simon offensichtlich von der Allgemeinheit der in GPS programmierten Prinzipien überzeugt.

Daß Newell & Simon annahmen, daß alle oder zumindest ein erheblicher Teil von Intelligenzleistungen durch die Prinzipien des GPS erklärt und erzeugt werden können, ist somit durch eine entsprechende platonische Idee des Allgemeinbegriffs von Intelligenz zu erklären.

Sie hätten auch in andere Richtungen ihre erfolgreichen Versuche generalisieren können, z.B. auf alle Rätselaufgaben, wie Türme von Hanoi, 15-Puzzle, Rubiks Cube etc., oder aber auf alle Spiele, einschließlich Schach und Go etc. etc.

Erst durch ihre weitgehende Generalisierung, erst durch die Annahme ihre Beispiele seien repräsentativ für allgemeine Intelligenzleistungen, mithin erst durch eine entsprechende Vorstellung vom Allgemeinbegriff `Intelligenz' entstand der Anspruch, die allgemeinen Prinzipien von Intuition, Einsicht und Lernen - welches ganz zentrale Fähigkeiten intelligenter Wesen sind - erkannt zu haben.


Eine andere Möglichkeit der Erklärung, wie Wissenschaftler zu der Annahme kommen, die Prinzipien des Denkens oder von Intelligenz entdeckt zu haben, ist die Abstraktion im Sinne der Aristotelischen Universalientheorie.

Diese Erklärung erscheint insbesondere dann plausibel, wenn von introspektiven Erfahrungen  ausgegangen wird. Dann werden Gedankengänge beobachtet und von ihren spezifischen Inhalten abgesehen, abstrahiert. Dies ist beispielsweise die Vorgehensweise in der Entwicklung der Logik gewesen. Aristoteles entwickelte Syllogismen , bei denen von einem konkreten Inhalt abstrahiert wurde, so daß nur noch die inhaltsleere Schlußform übrig blieb:6.17


Beispiel:


Alle Menschen sind sterblich. Verallgemeinerung: $\forall x\ P(x)\rightarrow Q(x)$.
Alle Griechen sind Menschen.   $\forall x\ R(x)\rightarrow P(x)$.
Alle Griechen sind sterblich.   $\forall x\ R(x)\rightarrow Q(x)$.


Hierbei ist allerdings zu bemerken, daß es bei der Aristotelischen   Abstraktion nicht klar ist, ob daraus die Prinzipien von Intelligenzleistungen gewonnen werden. Denn es wird dabei von einer Vorgehensweise ausgegangen und verallgemeinert - und nicht, wie oben beschrieben, von den Intelligenzleistungen. Letzteres ist aber für eine künstliche Intelligenz das Entscheidende, die primär daran interessiert ist, Intelligenzleistungen auf irgendeine Weise zu erzeugen. Demgegenüber würde die genannte Aristotelische Abstraktion als Simulation einer bestimmten Vorgehensweise stehen, die zudem nur zu einem Teil zur Hervorbringung menschlicher Intelligenzleistungen beiträgt.


Im Gegensatz zu diesen beiden auf Realismustheorien basierenden Erklärungen   für die Generalisierungen von einzelnen Intelligenzleistungen oder Denkprozessen auf die `allgemeine Form' von Intelligenz bzw. des Denkens stehen die Ähnlichkeitstheorien, insbesondere Wittgensteins Begriff der Familienähnlichkeit:   Die Familienähnlichkeiten lassen sich nicht durch eine einfache Regel beschreiben.6.18 So wird auch eine algorithmische Beschreibung komplizierter sein müssen.

Bei Anwendung von Wittgensteins Überlegungen auf den Allgemeinbegriff Intelligenz   kommt man ebenfalls zu dem Schluß, daß die Abgrenzung des Intelligenzbegriffs sich nicht durch die Angabe einiger weniger Charakteristika durchführen läßt.

Will man Intelligenzleistungen charakterisieren, so wird mal das logisch stringente Denken im Vordergrund stehen, mal das schnelle Kopfrechnen, dann das rasche Erkennen von visuellen und akustischen Reizen, das schnelle und sichere Erinnern an selten benutzte Kenntnisse, dann der kreative Gedanke, das geeignete induktive Schließen, dann das angemessene Verhalten in Situationen, in denen nur unsicheres Wissen zur Verfügung steht, dann das Finden von passenden Analogien oder gar von Metaphern etc. etc.

Das wichtigste jedoch ist, und dies ist in der Tat wenig offensichtlich und eher irreführend, daß die meisten der oben verwendeten Ausdrücke selbst wiederum nur unklar sind und ihrerseits nur durch Familienähnlichkeiten unter ihren Instanzen zu erklären sind. Mithin täuschen die Ausdrücke über die tatsächliche Uneinheitlichkeit der Struktur menschlicher Intelligenz hinweg. Diese Behauptung wird auch durch die Tatsache gestützt, daß die Bemühungen der künstlichen Intelligenz, entsprechende Fähigkeiten in Form eines Computerprogramms operational zu beschreiben, bisher nur von mäßigem Erfolg gekrönt sind.

Wie dem auch sei, Wittgensteins Überlegungen deuten bereits an, daß allein die Abgrenzung von intelligenten gegenüber weniger intelligenten Leistungen eine hohe Kolmogoroffkomplexität erfordert. Dies würde sich - allein unter dem Gesichtspunkt der Beschreibungskomplexität - mit den realistischen Universalientheorien kaum vereinbaren lassen. Die realistischen Theorien würden hingegen den Menschen dazu verleiten, eine Grenze zu ziehen, wo noch keine Grenze gezogen ist, um mit Wittgensteins Worten zu sprechen.


Vergleiche hierzu Wittgenstein:

$\ldots$ Denn ich kann so dem Begriff $\succ$ Zahl $\prec$ feste Grenzen geben, d.h. das Wort `Zahl' zur Bezeichnung eines fest begrenzten Begriffs gebrauchen, aber ich kann es auch so gebrauchen, daß der Umfang des Begriffs nicht durch eine Grenze abgeschlossen ist. $\ldots$Kannst Du die Grenzen angeben ? Nein. Du kannst welche ziehen: denn es sind noch keine gezogen. (Aber das hat dich noch nie gestört, wenn du das Wort $\succ$ Spiel $\prec$ angewendet hast.) 6.19

Diese Grenze wird dabei allerdings weniger explizit gezogen. Es werden vielmehr methodologische Annahmen gemacht, die eine Grenze implizieren. Beispielsweise wie es Newell & Simon mit dem GPS taten. Später stellte sich heraus, daß die implizit gezogene Grenze, - nämlich all das, was der GPS kann, gilt als Intelligenzleistungen - mit der allgemeinen Auffassung von Intelligenz in keiner Weise übereinstimmt. Im folgenden Kapitel wird auf diese Problematik noch näher eingegangen.


Wie dem auch sei, so haben sich doch heute in der KI-Forschung unter anderem die bereits in Kapitel 2 skizzierten Teilgebiete etabliert: Suchen und Problemlösen, Spiele spielen, Automatisches Beweisen, Verstehen natürlicher Sprache, Bildverstehen, Lernen, Expertensysteme sowie Konnektionismus und neuronale Netzwerke.

Jedes dieser Teilgebiete beinhaltet eigene Aufgabenstellungen und man versucht, geeignete Lösungstechniken für die jeweiligen Aufgabenstellungen zu entwickeln. Der Trend geht in der Tat in die Richtung, die Probleme immer feiner zu klassifizieren und für jede dieser Problemklassen spezielle Verfahren zu entwickeln. Bei einer solchen Untergliederung der Techniken stellt sich allerdings die Frage, inwiefern eine solche Vielzahl von Techniken noch die Prinzipien von Intelligenz widerspiegeln können.6.20


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Achim Hoffmann
2002-07-12